PORTRÄT UND INTERVIEW

Im Gespräch mit…

Space&Matter, Amsterdam

  • Autorin: Josepha Landes
  • Fotos: Allard van der Hoek

Läuft man vom Amsterdamer Hauptbahnhof („Amsterdam Centraal“) in Richtung IJ, gilt es aufzupassen, nicht mit einem der Radfahrer zu kollidieren, die hier geschwind ihrem Alltag nachfahren. Das Büro von Space&Matter, die seit fast zehn Jahren das Amsterdamer Architekturgeschehen aufmischen, liegt jenseits jenes Meeresarms, der ein bisschen an die Hamburger Elbe erinnert.

PORTRÄT

Fragen statt Antworten

Space&Matter ist eine Team-Angelegenheit. Das wird relativ schnell klar beim Fotoshooting mit den Gründern Tjeerd Haccou, Sascha Glasl und Marthijn Pool: Die Mitarbeiter sollen bitte mit ins Bild!

Mittlerweile haben sie eine Gruppe von circa 15 Kollegen um sich gesammelt. Die meisten relativ jung: Architekten, Designer, Raumplaner. Sie arbeiten auf zwei Ebenen eines eigens ausgebauten Bürolofts im Norden Amsterdams. Angefangen haben Haccou, Glasl und Pool fast mehr als Think-Tank denn als Architekturfirma. 2009 war es alles andere als einfach, als junges Büro in einem Markt ohne Finanzkraft Fuß zu fassen. Die Architekten haben sich angepasst und, statt auf Biegen und Brechen bauen zu wollen, Strategien gelernt, ihre Ideen konzeptionell zu verfeinern.

Marthijn Pool, Sascha Glasl und Tjeerd Haccou

Tjeerd Haccou und Marthijn Pool sind Studienkollegen von der TU Delft. Haccou hat darüber hinaus Architektur in den USA studiert, Pool Architektur und Industriedesign am Politecnico in Mailand. Sascha Glasl, gebürtiger Kölner, hat sein Architekturstudium an der RWTH Aachen absolviert. Danach gewann ihn sein Professor Matthijs Bouw als Mitarbeiter für sein Büro one in Amsterdam, wo Glasl auf Haccou traf. Alle drei engagierten sich über die Jahre als Lehrende an ihren Heimatuniversitäten und der Kunsthochschule in Utrecht. Gemeinsam haben sie neben dem Architekturbüro Space&Matter weitere Firmen gegründet – etwa „Crowd Building“, womit sie sich der Umnutzung leerstehender Immobilien widmen, oder „We build homes“, eine Gruppe, die sich der Vermarktung von Architekturqualität für den kleinen Geldbeutel verschrieben hat.

Der untere Bereich des Büros, mit großen Tischen ausgestattet, bietet sich fürs gemeinsame Mittagessen, Besprechungen oder unser Interview an.

2013 haben sie sich mit ihrem Projekt „SWEETS hotel“, das die Umnutzung der durch die Digitalisierung dieser Infrastruktur obsolet gewordenen Brückenwärterhäuschen in Hotelräume vorsah, für den Bauwelt-Preis beworben und eine Anerkennung erhalten. Mittlerweile sind 16 von 27 dieser Häuschen umgebaut und das Projekt, das eines ihrer ersten Projekte war, ist zum Selbstläufer geworden. Viele ihrer jetzigen Projekte sind Baugruppen, deren Gründung sie auch aktiv vorantreiben. Sie arbeiten eng mit der Stadt zusammen, die ihr Engagement und den Drang, stets neue Fragen zu stellen, schätzt. Diese Zusammenarbeit ist gewiss einer der Gründe für ihren derzeitigen Erfolg, denn Amsterdam stellt mittels Erbbaurechtregelungen sicher, die Kontrolle über kommunalen Grund und Boden zu behalten. Auf der anderen Seite waren die Architekten von Beginn an daran interessiert, eng mit Entwicklern zusammenzuarbeiten. Zum einen, um von ihnen zu lernen, zum anderen, um Kontakte zu knüpfen. Seit kurzem hat das System volle Fahrt aufgenommen und sie werden von Entwicklern direkt angefragt.

Neben den Computer-Arbeitsplätzen gibt es auf dem Oberdeck eine Modellbauwerkstatt und eine Bibliothek.

Zurzeit ist das Büro mit dem Wohngebäude „Object ONE“ und dem Hausbootprojekt „Schoonschip“ beschäftigt. Ersteres ist der Versuch, die Traumhäuser verschiedener Bauherren zu einer Gesamtgestalt zu vereinen. Dazu haben Space&Matter zusammen mit der Stadt einen Rahmen, Spielregeln und die Hälfte des Entwurfs geliefert. Ergänzen werden weitere Anteilseigner mit ausgewählten Architekten.

„Schoonschip“ ist eine schwimmende Baugruppe. Nach neun Jahren Vorarbeit steht der Baubeginn nun vor der Tür. In dem Projekt bedienen sich Space&Matter bereits zum zweiten Mal des für Amsterdam typischen Hausboots – in direkter Nachbarschaft des Büros findet sich „De Ceuvel“, eine Kooperation mit der belgischen Universität Gent. Dort liegen auf einem alten Schiffbauergelände 13 als Büros genutzte Boote, eingebettet in ausgewählte Bodendeckerpflanzen. Ziel ist es, hier innerhalb von zehn Jahren den Boden auf natürlichem Weg von Schadstoffen zu befreien. Dann werden die Boote ablegen und Neues kann entstehen.

INTERVIEW

Im Gespräch mit …

Seid ihr nicht etwas ab vom Schuss hier im Norden?

Marthijn Pool (MP): Könnte man meinen, tatsächlich aber entwickelt sich Amsterdam Noord gerade rasant. Seit ein paar Wochen gibt es eine Metro, mit der man in zehn Minuten in der Innenstadt ist. Die Gegend boomt, man sieht es an den Baufeldern, Kränen, Bauarbeitern. Noord war lange eine Gewerbezone. In den letzten Jahren kamen viele Künstler in die leerstehenden Werften. Unser erster Bürostandort war hier, in der Kraanspoor. Das Gebäude von Trude Hooykaas war damals fast der einzige Neubau auf dem Areal und ziemlich imposant: ein langer Glasriegel auf einem Sockel aus Beton, der im Wasser steht. Früher sind darauf die Kräne für die Schiffsfracht gefahren. Wir haben dort 2009 als ein kooperatives Büro angefangen. Später sind wir zwar in die Innenstadt umgezogen, aber nun seit einem Jahr zurück.

“Wir wollten lernen, wie wir unsere Ideen von A bis Z umsetzen könnten.”

Sascha Glasl, Amsterdam

 

Ein kooperatives Büro – oder, wie ihr selbst sagt, „proactive“ –, was bedeutet das für euch als Architekten?

Sascha Glasl (SG): Wir haben unser Büro mitten in der Wirtschaftskrise gegründet. Es war ein riskanter Zeitpunkt. Tjeerd und ich hatten gerade einen Wettbewerb zusammen gewonnen und konnten uns ein Jahr für die Neugründung gönnen, Marthijn hatte fünf Jahre in Rotterdam für Kas Oosterhuis gearbeitet und war voller Tatendrang, mit uns etwas Neues anzufangen. Aber wir bekamen keine Aufträge. Also haben wir versucht herauszufinden, wie wir unsere eigenen Ideen realisieren können. Dafür schien es uns hilfreich, mit Immobilienentwicklern ein Büro und Know-how zu teilen. Wir wollten lernen, wie wir unsere Ideen von A bis Z umsetzen könnten. Dazu braucht es meist mehr als Architektenwissen.

Vor einem Jahr bezogen Space&Matter ihr aktuelles Büro, ganz in der Nähe ihres ersten Bürositzes.

Welche Projekte habt ihr anfangs gemacht?

SG: Das „SWEETS hotel“ ist definitiv eine unserer ersten Ideen gewesen. Die Stadt hat im Zuge der Digitalisierung ihrer Brückenanlagen nach einem Umnutzungskonzept für die Brückenwärterhäuschen gesucht. Es waren viele voneinander losgelöste Funktionen wie Kiosk oder Eisdiele im Gespräch.

MP: Für die Stadt war es einfacher, einen Vertragspartner für alle Häuschen zufinden, als jedes mit separater Nutzung und Vertrag zu verpachten. Da kam unsere Idee eines über die Stadt verteilten Hotels gerade recht. Außerdem entspricht es dem Kern der Sache: Die Brückenwärterhäuschen sind zwar sehr unterschiedlich, aber Teil ein und desselben Systems. Dieser kohärenten Typologie eine verbindende Neunutzung zuzuweisen, stärkt das Konzept.

SG: Wir arbeiten jetzt schon seit fast zehn Jahren an den „SWEETS“. Zu Beginn haben wir vor allem recherchiert und ein Buch dazu herausgebracht, denn es gab nichts dergleichen. Umgebaut werden die Häuschen erst seit etwa zwei Jahren.

In den letzten Jahren sind viele weitere Projekte zu eurem Portfolio hinzugekommen.

SG: Insgesamt sind es 250, aber bei Weitem nicht alle sind realisiert. Gleich hier um die Ecke haben wir den Hausbootgarten „De Ceuvel“ angelegt, der – auch „proactive“ – den Boden dekontaminiert. Aus anderen Projekten sind neue Firmen entstanden. Mit „Crowd Building“ etwa versuchen wir leerstehende Büroflächen für das Wohnen nutzbar zu machen.

“Städte müssen sich bewusster werden, wem sie die Verantwortung für ihre Entwicklung überlassen.“

Marthijn Pool, Amsterdam

 

Gibt es denn einen roten Faden in eurer Arbeit?

MP: Wir heißen Space&Matter, weil es uns nicht nur um das Bauen von Raum geht, sondern vor allem darum, die Themen, die diesen Raum füllen und die ihn ermöglichen, abzuwägen. Unsere Projekte sind alle sehr unterschiedlich – bei manchen ist es uns sehr wichtig, die Materialität zu betonen, bei anderen weniger. Wir arbeiten nach dem Prinzip, dass die beste Antwort auf eine Frage eine Frage ist.

Was ist eurer Ansicht nach eine wichtige Frage, die sich Planer stellen sollten?

MP: Städte müssen sich bewusster werden, wem sie die Verantwortung für ihre Entwicklung überlassen. Noch liegt sie meist bei Investoren, die mit dem vorhandenen Raum spekulieren. Die Planer sollten sich fragen „Für wen machen wir die Stadt?“ und „Wer macht die Stadt?“.

SG: Wir denken, dass ein Hand-in-Hand-Arbeiten von Experten und Nutzern wichtig ist. Planer müssen zuhören können und dann professionell Lösungen finden. Die Bewohner der Stadt wissen am besten, wie ihr Leben funktioniert.

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