PROJEKTREPORTAGE

SWEETS hotel, Amsterdam

Space&Matter, Amsterdam

Spione in der Stadt

  • Autorin: Josepha Landes
  • Fotos: SWEETS hotel

Es ist eine dieser Architekturideen, die das Zeug haben, auch die Boulevardpresse für sich zu begeistern. Peppig, einfach süß stehen die Amsterdamer Brückenwärterhäuschen an Klapp-, Hebe- und Zugbrücken sowie Schleusen über die Stadt verteilt. Und darin kann man jetzt wohnen! Dabei sind sie alles andere als niedlich, sie sind die Spitze eines Eisbergs der Ingenieurbaukunst und kondensierte Idealbilder der Architektur ihrer Zeit.

Space&Matter haben vor etwa zehn Jahren begonnen, Ideen für ein dezentralisiertes Hotel zu hegen. Als die Stadt Amsterdam im Zuge der Digitalisierung ihrer Brückentechnik auf der Suche nach einer Nachnutzung für die Brückenkontrollhäuschen war, ergriffen die Architekten die Gelegenheit, ihre Idee vorzuschlagen. Und sie kam gut an. Nach viel Recherche zur Funktion und Geschichte der Anlagen haben sie vor zwei Jahren, zusammen mit der Betreiberfirma Lloyd Hotel und dem Projektentwickler Grayfield, angefangen, umzubauen. Zwei Drittel des Bestands sind bislang geschafft und auch unter den ausstehenden Objekten befinden sich noch herausfordernde Raumformen.

 

Die Brückenwärterhäuschen befinden sich über ganz Amsterdam verteilt. Sie zeigen auch die Ausbreitung der Stadt, denn wo Straßen das Wasser querten, wurden sie nötig.

Sie sind rund, oktogonal, rechteckig, trapezförmig. Backsteinern, in Aluminium gewandet, holzvertäfelt. Flach, hoch, breit, eng. Vor allem aber einsichtig, diese Brückenwärterhäuschen. Alle stehen sie am, einige sogar im Wasser.

Die ersten ihrer Art wurden im 16. Jahrhundert, meist als Holzgebäude, errichtet. Über die Jahrhunderte, mit Ausweitung des Stadtgebiets, kamen sukzessive neue hinzu. Ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert ersetzte man die Holzbauten durch gemauerte, betonierte, metallene Gebäude, die sich grob in sechs Stile einordnen lassen, von der Amsterdamer Schule der 20er Jahre über das neue Bauen der 50er und 60er bis hin zur Übernahme der Architekturdomäne durch Ingenieure in den 70ern und schließlich zu Entwürfen von Architekten, die nicht mehr Stadtbaumeister waren, seit den 90er Jahren. Der letzte Neubau, weit außerhalb im Osten des Stadtentwicklungsgebiets IJburg, entstand erst 2013.

Das SWEETS 202. Kortjewantsbrug wird ab kommenden Winter ein famoses Panorama des alten Hafens eröffnen.

Der Brückenwärter war allzeit ein angesehener Mann. Ihm oblag die Entscheidung, in welcher Richtung der Verkehr läuft, ob zu Wasser oder zu Lande. Die Digitalisierung und Rationalisierung des neuen Jahrtausends führte zu einer Bündelung der Brückenwärteraufgaben. Nicht mehr jede Brücke wird nun vor Ort bedient, vielmehr funktioniert das System zentralisiert.

Die vorgefundene Baustruktur bietet Herausforderungen und überraschende Möglichkeiten.

Dafür können jetzt Touristen von den Kontrollhäuschen aus in der Stadt Spion spielen. Denn so viel Aussicht die Räume bieten, so wenig wird von Passanten wahrgenommen, was in ihnen vor sich geht. Trotzdem war für die Umwandlung in ein Hotel der Umgang mit den oft das gesamte Häuschen umspannenden Glasflächen kritisch. Gerade bei Nacht suchen Reisende doch eher einen Rückzugsort mit intimer Atmosphäre. Daher spielten neben der Suche nach einer passenden Raumkonstellation auch Vorhänge und Jalousien eine wichtige Rolle. Die Brückenwärterhäuschen haben jeweils ihren ganz eigenen Charme. Die Geschichten, die sie erzählen, sind immer an den Ort und den Charakter des Bestands geknüpft. Einmal entsponnen ergänzen dann neue Elemente das Narrativ, so ist zum Beispiel die Literaturauswahl jedes SWEETS thematisch fokussiert.

So viel Aussicht die Räume bieten, so wenig wird von Passanten wahrgenommen, was in ihnen vor sich geht.

Die Raumgestaltung haben Space&Matter in einem Design-and-build-Verfahren entwickelt. Im Rahmen von „Design-Picknicks“ hat das Büro an einem Nachmittag jeweils drei bis vier Objekte besucht und vor Ort einen Leitfaden für die Ausarbeitung entwickelt. Viele Entscheidungen wurden mehrfach verworfen, manchmal kam auf der Baustelle alles anders als gedacht. Soweit die vorgefundenen Einbauteile und Materialien noch in gutem Zustand waren, haben die Designer versucht, sie wiederzuverwenden, andere Wasserhähne und Knäufe sind neu. Das so entstandene Potpourri passt gut ins Konzept und wirkt doch nie kunterbunt. Die Materialien Terrazzo, poliertes Aluminium und gestrichenes Holz zeugen von dem Qualitätsbewusstsein der Macher.

Unweit von Amsterdam Centraal am Ufer des IJ und mit bester Aussicht auf das EYE von Delugan Meissl: SWEETS 301. Westerdoksbrug.

Allen SWEETS ist die Ausstattung mit Doppelbett, Kaffeeutensilien und Badezimmerbeigaben gemein. Auch die Duschen sind alle neu aus dem Grohe-Sortiment ergänzt – für den Arbeitsalltag eines Brückenwärters waren sie in vergangenen Zeiten nicht nötig. Die Armaturen sind individuell auf den Ort abgestimmt, die Wände gefliest, gespachtelt oder mit farbigen Platten verkleidet. Die Relikte der Brückenwärter sind nicht überall dieselben, denn auch schon in den Jahren zuvor hat die Technik Fortschritte gemacht und ein analoges Pult ist weitaus ansehnlicher und damit erhaltenswerter als ein toter Monitor. Hinzugekommen ist jeweils eine neue digitale Bedieneinheit: ein System, das Hotelinformation, Schlüsselkarte und Stadtführer vereint. Das Check-in funktioniert über Smartphone, die Dos and Don’ts für Haus und Nachbarschaft erfährt man von einem Tablet.

Die soziale Komponente innerhalb des Hotels entfällt, dafür kann die Interaktion mit der Nachbarschaft an ihren Platz treten. Das Prinzip klingt ein wenig nach kommerziellem Airbnb und ist es auch. Es war wohl der Zeitgeist der ausgehenden nuller Jahre – Sharing, wenn’s knapp wird.

Das SWEETS 103. Buiksloterdraaibrug am Noordhollandsch Kanaal bedient japanische Motive und ist mit drei auf vier Metern eines der kleinsten.

Die SWEETS sind ein exklusives Vergnügen. Die Blicke und der Bezug zur Stadt sind außergewöhnlich. Architekt Marthijn Pool unterstreicht das anhand seines Lieblingshauses, das, 1673 errichtet, zugleich das älteste der Kollektion ist. Es steht in der Mitte der Amstel, des für Amsterdam namengebenden Flusses, über einer Schleuse. Man erreicht es nur per Boot. Hier wird wohl am deutlichsten, dass ein Aufenthalt in einem der SWEETS eine Perspektiven verschiebung auslöst.

Auch wenn die Häuschen 2020 fertig sein sollen, die Architekten haben schon jetzt Ideen, wie sie weiterentwickelt werden könnten. Die Idee für ein Hotel, dessen Lobby die Nachbarschaft ist, ließe sich noch weiterspinnen. Warum nicht eine Terrasse anlegen, wo sich Nachbarn und Gäste auf einen Kaffee treffen? Oder dem meditativen japanischen Teepavillon am Noordhollandsch Kanaal einen Zen-Garten vorlagern?

Architekten

Space&Matter
Johan van Hasseltkade 306
1032 LP Amsterdam
Niederlande
www.spaceandmatter.nl

2009 gründeten der Deutsche Sascha Glasl und die Niederländer Tjeerd Haccou und Marthijn Pool in Amsterdam das Architekturbüro Space&Matter. Mittlerweile hat es sich zu einem interdisziplinären Büro für Architektur und Stadtentwicklungskonzepte entwickelt. Mit lokalen Partnern initiieren sie Beteiligungsplattformen und helfen Start-Ups auf die Füße. Ziel dieser Projekte ist es, den gesellschaftlichen Zusammenhalt vor Ort durch Eingriffe in die gebaute Umwelt zu stärken.

Projekte (Auswahl)

Seit 2010 SWEETS hotel, Amsterdam
2016 Urban Farmers, Den Haag
2016 JFK Smart Lofts, Amsterdam
2015 Da Lang Fever 2.0, Shenzhen Biennale
2013 Common Fence, Leiden

Produktinformationen

Eine gelungene Einheit: Der Thermostat Grohtherm 1000 Cosmopolitan mit der funktionalen Handbrause Euphoria im Bad eines SWEETS.

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